Von Ethik, Systemen und Schafen

Die Geschichte von den Schafen.

Bauer Josef besaß eine große Almweide und 50 Schafe. Weil seine Weide so groß war, gestattete er den fünf anderen Bauern im Dorf ebenfalls jeweils 50 Schafe auf seiner Alm grasen zu lassen, denn die Weide würde genügend Futter für 300 Schafe abgeben. Damit wäre dann allerdings auch die Höchstanzahl erreicht, die die Weide vertragen würde. Er verlangte von seinen Kollegen dafür kein Geld, sondern nur, dass die anderen Bauern ihre Schafe unterschiedlich kennzeichneten, sodass im Falle eines Wolfangriffs oder Unwetters klar wäre, welche Verluste zu beklagen wären. Das funktionierte mehrere Sommer sehr gut und jeder Bauer profitierte davon. Die Schafe gediehen prächtig und die Alm war in bestem Zustand.

Nach dem Sturm.

Eines Winters verstarb einer der Bauern und ein Neuer aus einer anderen Gegend übernahm den Hof, da der verstorbene Bauer keine Nachkommen hatte, die den Hof weiterführen wollten. Als es wieder Sommer wurde, führte jeder Bauer – wie jedes Jahr – seine Schafe auf die Weide von Bauer Josef. Eines Nachts gab es einen verheerenden Sturm, durch den viele Tiere auf der Weide umkamen. Als Bauer Josef am folgenden Morgen auf die Weide kam, fand er neben den toten Tieren auch noch einige Schafe, die friedlich ohne Kennzeichnung grasten. Er zählte die Schafe auf der Weide und bemerkte, dass es – inklusive der Verstorbenen – 30 mehr als die vereinbarten 300 waren. Er war enttäuscht und stellte seine Kollegen zur Rede. Da die Schafe nicht gekennzeichnet waren, war nicht nachvollziehbar, wem sie gehört hatten. Die anderen leugneten und gaben vor, es nicht gewesen zu sein und davon auch nichts bemerkt zu haben. Schnell schien also, dass es der neue Bauer gewesen sein musste, der die zusätzlichen 30 Schafe ohne Einverständnis von Bauer Josef auf die Weide geführt hatte… Offenbar waren es in dieser Geschichte im Zweifelsfall die anderen, denn keiner hatte etwas getan oder bemerkt. Und zum anderen musste es der Neue gewesen sein, wurde geargwöhnt. Denn ihm wurde am wenigsten vertraut…

Mit der Ethik ist es ganz einfach:

Sie hört dort auf, wo sich jemand zu Lasten anderer (vielleicht noch hinter deren Rücken) einen Vorteil verschafft. Und das beginnt schon bei kleinen, oftmals vielleicht banal erscheinenden Themen und Anlässen. Jemand zu übervorteilen ist fast schon „normal“ geworden und beginnt bereits bei jedem von uns: z.B. Kopierpapier aus dem Büro einfach so mit nach Hause zu nehmen. Oder den Kellner im Lokal beim Bezahlen nicht auf zu viel Wechselgeld aufmerksam zu machen, oder bewusst ohne Fahrschein zu fahren… Am Ende des Tages ist es zunächst auch nur sekundär, welcher der Bauern versucht hat, unbemerkt seinen Vorteil herauszuholen.

Denn es geht vor allem um das Prinzip: Es braucht nur einen, um ein System, das auf Vertrauen und Ehrlichkeit aufgebaut ist, zu unterwandern und damit zum Kippen zu bringen. Das Vertrauen schwindet bei allen Beteiligten und nur viel Zeit und Energie können es wieder ins Lot bringen – falls dies überhaupt möglich ist. Ganz zu schweigen vom Schaden, der für alle dabei entsteht…

Ethisches und integres Handeln beginnt also bei jedem und jeder Einzelnen von uns.

Stichwort integre Eigenverantwortung. Die bekannte österreichische Molekularbiologin Dr. Renée Schroeder, die wir 2016 als eine der Keynotes am Wiener Leadership Kongress 2016 zu Gast hatten, hat damals schon die Frage in den Raum geworfen, ob wir Schafe* sein wollen oder Eigenverantwortung übernehmen. Ob wir das machen, was alle machen, ob wir wegschauen oder in Vermutungen und Beschuldigungen anderer miteinstimmen oder unseren eigenen, integren Weg verfolgen.

Was sind deine ersten, spontanen Gedanken zu dieser Geschichte? Hattest du vielleicht den Impuls, es muss der neue Bauer gewesen sein? Und wie würdest du an der Stelle von Bauer Josef vorgehen? Es ist übrigens bis heute nicht bekannt, welcher Bauer es war. Oder ob es vielleicht auch mehr als ein Bauer war.

Und wie geht es dir aktuell mit dem Thema Ethik?
Wir finden, das Thema geht uns alle an, denn wir sind die, die etwas verändern können. Achten wir also ganz besonders auf unsere individuellen Beiträge! Wir werden alle davon profitieren!

Wir freuen uns auf deinen Kommentar per eMail (welcome @ wienerleadershipkongress,at)

* Die Geschichte ist übrigens wahr und wurde Karin Weigl vor gut 10 Jahren erzählt. Dass die Geschichte von Schafen handelt und sich Frau Dr. Schroeder auch auf Schafe bezieht, ist ein lustiger Zufall. :-)

„Bleiben wir bitte sachlich!“

Gefühle haben etwas Überwältigendes. Sie entstehen im Augenblick, da sie Reaktionen auf etwas sind, das uns zustößt bzw. auf eine Situation, die sich einstellt. Von dieser Situation können positive Gefühle ausgehen: Freude, Glück oder Hoffnung; oder auch negative Gefühle: Angst, Enttäuschung, Trauer oder Zorn bzw. Wut. Und das kann (Mit-)Menschen manchmal ziemlich überfordern. Privat, aber auch im Arbeitsalltag. Und wenn in einem Konflikt oder nach unpopulären Entscheidungen dann die Aufforderung kommt, „doch bitte mal sachlich zu bleiben“, funktioniert das meistens nicht. Das haben wir alle schon mal erlebt.

Wir sind in einer Tradition – der westlichen Welt – aufgewachsen und zivilisiert worden, die seit Anbeginn das Denken eher über das Fühlen stellt. Verstand (Vernunft) und Gefühl, das ist ein Gegensatz, der oft mit einer Wertung verbunden ist; nämlich mit der Ansicht, dass unsere Gefühle durch unseren Verstand gezügelt, gezähmt werden sollen. Doch wenn Gefühle ins Spiel kommen, setzt der rationale Verstand meistens aus.

Räumlichkeit

Gefühle sind immer auf etwas (oder jemand) gerichtet und haben deshalb auch eine Räumlichkeit. Dies drückt sich in den Präpositionen aus, die wir verwenden: Wir haben Angst vor etwas oder jemandem, wir schämen uns vor jemandem für etwas, wir freuen uns (oder trauern) über etwas, wir sind zornig auf jemanden oder über etwas oder ärgern uns über jemanden oder etwas. Ebenso leiden wir – auch dies ist ein emotionaler Zustand – unter einer bestimmten Situation.

Wie kann man mit Emotionen im Arbeitsalltag umgehen?

In jedem Fall ist es wichtig, beispielsweise im Falle eines Konflikts oder einer unangenehmen Situation in einem Meeting, den Emotionen Raum zu geben, sie anzuerkennen. Das kann in einem Meeting durch eine „Meinungsrunde“ passieren. Jeder und jede hat reihum 2 Minuten Zeit (Zeit wird mitgestoppt), alles zu artikulieren, was ihm oder ihr zu einem Thema am Herzen liegt. Dabei wird weder kommentiert, noch bewertet. Jeder hört dem anderen zu, ohne zu unterbrechen. Das nimmt unmittelbaren Druck heraus. Manchmal braucht es noch eine zweite Runde, in der man dann durchaus die Fragestellung noch verändern kann: z.B. „Was müsste passieren, dass es noch schlimmer wird, als es gerade ist“ oder „Was brauche ich, damit ich heute wenigstens halbwegs gut aus diesem Meeting gehen kann“. Für die Führungskraft liefern diese Runden zusätzlich Informationen, die für die Kommunikation und Umsetzung einer Entscheidung oder nächster Schritte sehr relevant sein können. Zudem wird transparent, was die MitarbeiterInnen wirklich denken und fühlen.

Jedoch muss man als Führungskraft vielleicht auch mal aushalten, trotz Meinungsrunden ohne Lösung aus einem emotionalen Meeting zu gehen. In kurzen Einzelgespräche ein oder spätestens zwei Tage später kann man dann dazu beitragen, langsam gemeinsam wieder eine konstruktive Sicht einzunehmen: jeder hat sich wahrgenommen und gehört gefühlt, es ist alles gesagt. Also kann nun langsam auch an Lösungen gedacht werden, nachdem die ersten Emotionen abgeflaut sind.

Dr. Klaus Neundlinger & Karin Weigl

Die Zukunft der Arbeit und wie wir sie gestalten können.

Schon die bekannte Biochemikerin Renée Schroeder hatte bei unserem Wiener Leadership Kongress im Jahr 2016 darüber gesprochen, dass wir Menschen frei entscheiden können, ob wir Schafe sein oder Eigenverantwortung übernehmen wollten: es läge also vollkommen bei uns, wie wir unsere Genetik weiterschreiben und entwickeln und wie wir die Zukunft gestalten. Auch die moderne Hirnforschung kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Zukunft der Arbeit wäre demnach also offen, denn der Mensch kann frei entscheiden, wie er sie gestalten will. Und es gibt äußere Faktoren, die der Entwicklung eine Richtung weisen.

Entwicklung folgt Engpass

Entwicklung und Wachstum finden vor allem dann statt, wenn es eine Krise, einen Engpass gibt. Offenbar brauchen wir Menschen sich zuspitzende Zustände, um uns aus unserer Komfortzone zu bewegen, um Neues zu entwickeln und auch persönlich zu reifen. Das gilt für die heutige Welt und war offenbar schon immer so. In den letzten 150 Jahren sehen wir dazu einige Beispiele: als Transportmöglichkeiten der Engpass waren, wurde die Eisenbahn gebaut. Und als die Wissensflut immer größer wurde, dass man sie mit manuellen und herkömmlichen Methoden nicht mehr strukturieren und vernetzen konnte, kamen die ersten Computer auf den Markt.

Wenn wir also einen Blick in die Zukunft werfen wollen, dann gab es hinter jeder Entwicklung in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Was könnte also der Engpass sein, der in Zukunft unsere Entwicklung als Wirtschaft und Gesellschaft beeinflussen könnte?

Gesundheit und vernetztes Wissen

Das, was in der Wirtschaft seit gut 20 Jahren beobachtbar ist, ist eine stärkere Entwicklung Richtung Dienstleistung.  Es werden weiterhin Güter produziert, aber viele dieser Güter werden komplexer und bedürfen Erklärungen und Informationen – und das betrifft die meisten Bereiche des menschlichen Lebens, egal, ob technologisch, in der Ernährung, im Sport…

Wir leisten also immer mehr gedankliche Arbeit und das ist in meinen Augen auch der Weg der Entwicklung: wir werden nicht mehr nur reines Wissen verkaufen (denn das ist ja mittlerweile durch das Internet kostenlos zugänglich), es wird vielmehr um die Kombination aus Wissen und Erfahrung gehen, also um das Vernetzen von Wissen und Erfahrung, das Beraten, das Probleme lösen, kurz: gedankliche Arbeit.

Auch Erik Händeler, ein bekannter deutscher Wirtschaftsjournalist und Zukunftsforscher, sieht auch eine Entwicklung in diese Richtung. Und für ihn kommt noch eine weiterer Engpass dazu, das Thema (seelische) Gesundheit. So meint Händeler:

„Gesundheit war immer wichtig, aber es war nie der Flaschenhals. Früher waren Menschen, die hart körperlich arbeiten mussten, mit 35 erschöpft, aber man konnte sie austauschen, es liefen genügend herum. Wenn man früher mehr Wohlstand hatte, hat man denen dann einen Bohrhammer gegeben und war durch die Technik produktiver. Aber jetzt nach 200 Jahren Industriegeschichte, in denen wir energetische und materielle Prozesse effizient gemacht haben, jetzt wird der größte Teil der Arbeit Gedankenarbeit sein.“

Sozialkompetenz als Schlüssel

Wenn es also künftig immer stärker um gedankliche Arbeit gehen wird, dann wird hier auch Sozialkompetenz eine signifkantere Rolle spielen: wie wir miteinander umgehen und wie wir zusammenarbeiten, wie wir Wissen und Erfahrung teilen. Denn je komplexer die Welt und die Produkte werden, desto mehr sind wir auf das Wissen und die Erfahrung anderer angewiesen. Wir älteren neigen vielleicht manchmal dazu, jungen Menschen ihre Kompetenzen abzusprechen, weil sie vielleicht nicht unsere jahrelange Erfahrung mitbringen. Dafür bringen junge Menschen einen anderen Zugang zu neuem Wissen, neuen Technologien mit und Erfahrungen, die wir älteren nie gemacht haben, weil wir in einer anderen Zeit aufgewachsen sind. Diese verschiedenen Kompetenzen miteinander zu vernetzen wird künftig über die Produktivität und den Erfolg eines Unternehmens wesentlich mitentscheiden.

Produktivitätsfaktor Zusammenarbeit

Produktivität wird demnach stark von der Art wie wir unsere Zusammenarbeit gestalten, abhängen. Und sie wird nicht mehr nach althergebrachten Parametern messbar sein, wie z.B. der Zeitaufwand, nach dem jemand auf ein Produkt verwendet hat.

Erik Händeler dazu:

„Wir waren historisch gesehen noch nie so auf andere angewiesen wie jetzt. Deswegen wird das Sozialverhalten zum wichtigsten ökonomischen Kriterium. Und wir werden beim Thema (seelische) Gesundheit landen. Früher am Fließband war es völlig egal, ob die Leute miteinander zurechtgekommen sind für die Produktivität. Aber jetzt in der Wissensgesellschaft ist jeder der König/ die Königin ihres Wissensbereiches. Und wenn sie dann im Team jemand haben, der merkwürdig reagiert, der sich ein bisschen neurotisch verhält ist die Produktivität des ganzen Teams lahmgelegt.“

Die Arbeit am und mit Menschen und die Arbeit mit unseren gedanklichen Kompetenzen wird also die Zukunft der Wertschöpfung prägen. Was wir als Gesellschaft daraus machen und wie wir miteinander umgehen werden bleibt zu beobachten. Und jeder und jede Einzelne von uns kann die Entwicklung in eine positive Richtung beeinflussen, indem wir als erstes bei uns selbst ansetzen.

Zitate aus:
Erik Händeler, „Wie uns trotz Digitalisierung niemals die Arbeit ausgeht“: https://www.youtube.com/watch?v=6nGnzoXOTBM

Fotocredit: Fotolia #30357023 © Klaus Eppele

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