Wer will spielen? Gamification, innovatives Leadership und die Zukunft unserer Arbeitswelt

Emotionen, Gefühle und Kreativität im Berufsalltag zu zulassen, Menschen bei ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen – das sind wichtige Ansatzpunkte für gutes Leadership. Spielen kann dabei helfen.

Lena Marie Glaser hat auf ihrem Blog BASICALLY INNOVATIVE eine Zusammenfassung des Keynote-Abends des Wiener Leadership Kongresses 2017 geschrieben: nachzulesen hier.

Fotocredit: Free stock photo: pexel.com art-blue-boat-194094 (c) Miguel Á. Padriñán

Führung in Zeiten der Digitalisierung

Eine Nachlese zur Wiener Leadership Night am 12.09.17 im Looshaus in 1010 Wien

Die Frage ist längst nicht mehr, ob sich unsere Arbeitswelt grundlegend verändert, sondern vielmehr wie wir mit dieser Veränderung umgehen wollen. Arbeit bedeutet für viele Menschen Identität und Selbstwert. Insofern stellt sich auch die Frage, was passiert, wenn sich Arbeit neu definiert. Die neuen Technologien werden darauf einen großen Einfluss haben und damit Organisationen und Führungskräfte vor neue Herausforderungen stellen.

Was ist unsere digitale Leitkultur?

„Was technisch möglich ist, wird auch gemacht werden und deshalb müssen wir in der IT auch die Verantwortung übernehmen“, begann Ingrid Kriegl, Geschäftsführerin der Sphinx IT Consulting die Diskussion bei der Wiener Leadership Night am 12. September 2017. Daher sei es auch die moralische Verpflichtung, sich als IT-ExpertInnen auch mit den Folgen verantwortungsbewusst zu beschäftigen. Dabei geht es vor allem auch um die ethische Verantwortung all jener, die die neuen technischen Errungenschaften in die Welt bringen. Silicon Valley ist die Leitkultur und die Frage ist, ob wir das z.B. in Europa so hinnehmen wollen. Wie der Genetiker an der DNA arbeitet, arbeitet die IT an der DNA eines Unternehmens. Das ist erst dadurch möglich geworden, weil sich die Wirkungsfelder  der IT maßgeblich verändert haben und die IT damit eine neue, strategische Position in den Unternehmen einnehmen sollte und auch bereits vielerorts einnimmt.

Andreas Hieger, Mitglied der Geschäftsführung der Qualysoft GmbH sieht, dass von vielen Seiten Hoffnungen auf die neuen Technologien gesetzt werden. Für ihn ist es wichtig, dabei auch die Folgenabschätzung nicht zu vergessen. Insofern stellt sich die Frage, ob es richtig ist, den Fokus in den Unternehmen vorrangig auf die technologische Entwicklung zu richten. In seinen Augen ist es essenziell für Unternehmen, den Menschen in diesem Prozess nicht aus den Augen zu verlieren. Die maßgeblichen Kompetenzen für Führungskräfte werden daher künftig vor allem Empathie und das Meistern von Komplexität sein.

Müssen Führungskräfte IT-affiner werden?

Ja, allerdings überlegen viele Unternehmen nicht, wie sie mit den digitalen Tools Probleme, die ihnen ihre Kunden aufzeigen lösen oder ein besseres Service anbieten können, meint Ingrid Kriegl. Sie kaufen neue Technologien – wie z.B. Watson – und überlegen erst danach, was sie damit tun könnten, anstatt vice versa. Das Motiv ist oft mehr der Druck von außen, als ein konkretes Bedürfnis, das zu lösen ist. Möglichst gut Schritt zu halten sei einer der größten Treiber für Organisationen, weil sie befürchten, andernfalls ihre Position am Markt zu verlieren.

Wie kann eine Organisation sich auf die veränderten Anforderungen vorbereiten?

„Die Führungskraft ist nicht die allwissende Instanz, daher ist es wichtig, die MitarbeiterInnen in Entwicklungen und Entscheidungen einzubeziehen“, sagt Ingo Oberortner, Geschäftsführer des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Rechenzentrums, und berichtet von der neuen Qualität der Zusammenarbeit, den seine Organisation durch die kontexten-Methode in den letzten eineinhalb Jahren erlebt hat. In dem sich jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin in diesem einfach strukturierten Prozess seinen/ihren Nöten stellt, entsteht eine gegenseitige Offenheit, die eine neue Qualität des Vertrauens und damit der Zusammenarbeit in der Organisation geschaffen hat. Der Entwicklungsprozess ist natürlich noch nicht zu Ende, aber für ihn und alle anderen persönlich sehr bereichernd, wenn auch vor allem am Anfang nicht immer so einfach.

Welche Rolle kommen modernen Technologien – Stichwort Blockchains – im Zuge der Digitalisierung zu?

Die Digital Business Beraterin Anita Posch meint, dass es vor allem die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Transaktionen sind, die künftig einen wesentlichen Einfluss haben und Veränderungen ins Wirtschaften und Geschäftemachen bringen werden. Heute spüren Unternehmen anhand von Social Media Aktivitäten schon sehr unmittelbar, welche Folgen ihr Tun bei ihren Kunden hat. Der Feedbackprozess aus dem Markt ist sehr direkt und umgehend. Daher sollten Unternehmen Social Media Aktivitäten unbedingt strategisch betreiben.

Der Abend entwickelte sich in eine anregende Diskussion unter allen Teilnehmenden, mit der Conclusio, dass sich Führung durch die die Digitalisierung nicht grundlegend ändern wird, aber es verstärkt darauf ankommen wird, Menschen „lesen“ zu können und deren Potenziale zu erkennen und aktiver zu nutzen als es bisher oft der Fall ist. Die Diskussionsrunde schloss mit einer Empfehlung von Andreas Hieger und Anita Posch an alle, die noch keine Bitcoins besitzen, sich mal um einen kleinen Betrag welche zu kaufen. Einfach, um zu beobachten, was passiert und sich mit diesem Thema vertraut zu machen.

Fotocredit: Wiener Leadership Kongress/ Simone Rack

Digitalisierung: ein Auftrag an die Führung

Der nächste, große technische Entwicklungsschritt steht für uns Menschen vor der Türe, die Digitalisierung. Dabei stehen die Automatisierung der Arbeit und die Nutzung künstlicher Intelligenz für das tägliche Leben im Vordergrund. In verschiedenen Diskussionen und Artikeln fallen vor allem die Angstszenarien auf: es werden viele Arbeitsplätze wegfallen, Menschen werden durch Roboter ersetzt, der Mensch wird in den Hintergrund treten. Aktuell können wir nur erahnen, was das für die Menschheit bedeuten kann. In diesem Zusammenhang wird leider zu wenig über die Chancen für uns als Gesellschaft gesprochen, was die Digitalisierung für einen positiven Einfluss auf unsere Lebensqualität haben kann.

Automatisch wird das neue Normal

Das, was sicher auf uns zukommen wird, ist, dass der Mensch im Arbeitsprozess eine neue Rolle einnehmen wird. Arbeit per se wird sich wandeln. Zum einen, weil die nachkommenden jungen Generationen sinnvolle Arbeit und einen Nutzen-stiftenden Beitrag leisten wollen. Zum zweiten, weil viele niedrig qualifizierte Jobs und einfache Tätigkeiten von Maschinen und Robotern übernommen werden können. Für viele Jobs kann das allerdings auch eine große Entlastung bedeuten, wenn Tätigkeiten automatisiert werden oder diese von einem Roboter übernommen werden können. Was wäre, wenn wir durch die Automatisierung mehr Zeit und gedankliche Ressourcen für andere Aspekte unserer Arbeit habe? Für solche, für die wir gewöhnlich zu wenig Zeit haben? Was würde das für unsere Talente, unsere Kreativität und Lebensqualität bedeuten?

In vielen Lebensbereichen sind wir ja schon sehr gewohnt, dass Dinge automatisch ablaufen und uns dadurch auch unser Leben erleichtern. Vieles davon ist selbstverständlich geworden: der Tempomat im Auto, die universelle Verfügbarkeit von Daten über die Cloud, online Banking, und vieles mehr. Vor 10-15 Jahren war das noch ganz anders. Automatisierung ist also ohnehin schon ein fixer Bestandteil unseres Lebens. Die Automatisierung erfordert allerdings auch, dass wir als Individuen (nicht nur technologisch) mehr denn je am Ball bleiben müssen, um auch die Chancen, die sich aus der Digitalisierung ergeben auch persönlich nutzen zu können.

Vernetzung ist key

Durch die neuen Technologien ist auch heute schon eine ganz andere Form der Vernetzung möglich. Die sozialen Netzwerke zeigen es bereits seit Jahren vor. Und auch Unternehmen können sich diesem Trend nicht verschließen: schnell sind Produkte und Leistungen mit „Likes“ am Weg nach oben oder durch unzufriedene KundInnenerfahrungen sehr rasch wieder am Abstieg. Feedback vom Markt und den MitarbeiterInnen erfolgt heute viel unmittelbarer als noch vor wenigen Jahren und dieser Trend wird sich noch verstärken. Denn die nachfolgende Generation der Digital Natives ist bereits so aufgewachsen. Und das gilt nicht nur für die Produkte oder Leistungen von Unternehmen, sondern auch für die Unternehmen als Arbeitgeber. Freiheit und Zufriedenheit der MitarbeiterInnen wird künftig eine noch stärkere Rolle spielen. Aufpolierte Pressemitteilungen oder 08/15 Stellenausschreibungen werden künftig immer weniger punkten. Zu arbeiten, nur um Geld zu verdienen wird mittelfristig – in jedem Fall für einen Großteil der jungen Millenials – kein Anreiz mehr sein. Das haben sie auch von unserer Generation der 40+ gut gelernt und beobachtet, wie viele von uns in Erschöpfung und Burnout geschlittert sind. Auch Technolgogien wie die Blockchain zeigen, dass Vernetzung in Zukunft noch wichtiger werden wird. Dadurch erhöht sich die Transparenz und durch mehr Transparenz entsteht leichter Vertrauen, was wiederum einen Einfluss auf die Zusammenarbeit der Zukunft haben wird.

Der Auftrag an die Führung

In Zeiten der Digitalisierung hat die Führung – nicht nur in den Unternehmen – einen großen Auftrag. Allerdings mit anderen Schwerpunkten, als bisher. Natürlich geht es dabei auch um die Operationalisierung von Geschäftsprozessen, aber es wird auch noch stärker um „weiche“ Faktoren gehen. In Zeiten der Digitalisierung wird nicht – wie so oft gemeint – weniger Führung benötigt werden, sondern mehr.  Eine Frage ist in diesem Zusammenhang auch, was mit den Erträgen aufgrund der gesteigerten Produktivität passieren wird, ob und wie diese verteilt werden: werden sich ein paar wenige bereichern oder werden diese Erträge für Kaufkraft verteilt werden. Hier sind auch die Regierungen am Zug.

Ich glaube, dass sich durch die Digitalisierung große Chancen für uns als Gesellschaft eröffnen können. Die Frage ist, wie wir als Menschen damit umgehen werden: ob Eigennutz in den Vordergrund treten, oder gesunde Eigenverantwortung, die auf andere nicht vergisst, die treibende Kraft sein wird. Ob wir einen Schulterschluss schaffen, oder uns gegenseitig übervorteilen. Es wird noch stärker um die Rahmenbedingungen für Zusammenarbeit gehen, um Authentizität, Vertrauen, gesunde Eigenverantwortung sowie interessante Aufgabenfelder, die es zu schaffen gilt und: den Fokus auf die Chancen zu richten.

Mehr dazu übrigens wir bei unserer Wiener Leadership Night am 12. September 2017.

Fotocredit: Fotolia.com #100000042  © gonin

Das Revival der Tugend

Die Tugend wohnt im Herzen und sonst nirgends.
Voltaire.

Tugenden hatten früher einen hohen Stellenwert. Heutzutage klingt das Wort verstaubt und man bedient sich lieber dem Begriff  Wert. Es gibt aber gute Gründe, warum Tugenden wieder in Mode kommen.

Wie jedes Jahr, hatten wir auch für den Wiener Leadership Kongress 2017 eine Vertreterin aus der Wissenschaft eingeladen. 2017 war es Dr.in Judith Klaiber. Damals war sie Dissertantin an der Universität Wien und als Theologin beschäftigt sie sich auch huete aus dem Blickwinkel der Philosophie und Theologie mit dem Thema Führung. Dabei geht es auch um die Tugenden. Das finden wir äußerst spannend und haben Judith schon im Vorfeld zum Kongress zum Interview gebeten:

In deiner Dissertation beschäftigst du dich damit, wie Führungskräfte ihre Entscheidungen fällen? Was interessiert dich persönlich an diesem Thema?

Salopp formuliert: Ich mag Menschen. Ich finde es hochspannend, wie Menschen sich ihre Welt erklären und zurechtlegen, mögliche Widersprüche glätten oder aushalten, woran sie sich orientieren, was wichtig für sie ist, wonach sie handeln. Gleichzeitig stehen wir als Menschen ja immer schon in diesem relationalen Spannungsverhältnis von „führen und geführt werden“.

Zudem ist ein biographisches Erlebnis im Zusammenhang der Pensionierung meines Vaters ausschlaggebend: da habe ich mich gefragt, was eigentlich mit der Menschlichkeit in Unternehmen passiert ist.

Was macht uns Menschen „handlungsfähig“?

Diese Frage hängt damit zusammen, was damit gemeint ist, ein gutes, gelingendes Leben zu führen, also wonach wir und damit auch unsere Handlungen streben. Was unser Ziel ist.  In der Tradition spricht man beim Ziel gerne von Glück.

Handlungsfähig werde ich dann, wenn ich einen klaren Orientierungsrahmen für mein Handeln habe und wenn mir mein Ziel bewusst ist. Klassisch wird das mit der sogenannten Güterlehre beschrieben, unter Güter fallen Konzepte wie z.B. Freiheit, Gerechtigkeit, Verantwortung, auch Bildung. Solche Konzepte kann man für sich mit Fragen erörtern: Was ist mir wichtig? Woran hänge ich mein Herz? Was will ich, dass ich am Ende sagen kann: „Es war gut so“? Also die alte Frage, was ein gutes Leben für mich ist. Die Beantwortung dieser Frage versuchen wir dann wiederum bestmöglich durch unsere Handlungen zu erreichen. Sozusagen ein Übergang von Haltung zu Verhalten. Ein permanentes sich hinterfragen: vielfältigste Fragen für die Gestaltung meines Lebens stellen und damit auch die herausfordernde Komplexität von Kontexten, in denen wir immer schon stehen, sichtbar machen.

Und abstrakter: Die Bewusstseinsbildung und Internalisierung von einer Güter-Hierarchisierung und deren Verhältnis zueinander, die ich dann anderen transparent kommunizieren können muss und die für mich gleichzeitig auch lebbar sind, die ich umsetzen kann.

Du beschäftigst dich u.a. mit Tugenden. Was unterscheidet eine Tugend von einem persönlichen Wert?

Vor 2000 Jahren schrieb Aristoteles in seinem Klassiker „Nikomachische Ethik“, dass wir, um dieses Ziel eines guten Lebens zu erreichen, Tugenden benötigen. Dieser Begriff hat einen angestaubten Charakter, wirkt darin aber vielleicht auch gerade deshalb attraktiv. Suggeriert er doch eine klare personale Disposition, eine Veranlagung hin zum Guten. Der Begriff der Tugend bezeichnet eine menschliche Eigenschaft, die wir als moralisch gut verstehen. Der Tugendbegriff ist dabei aber nicht von der Person zu lösen, kann also nicht alleine für sich stehen. Er bezeichnet ein vorbildliches Verhalten, eine Eigenschaft, letztlich den Charakter, den wir als moralisch gut oder schlecht beurteilen. Tugenden kommen dem Menschen zu, sind also seine subjektiven, persönlichen Attribute, das, was den Menschen individuell ausmacht.

Der Wertebegriff hingegen ist momentan irrsinnig schillernd und in aller Munde: Manche sagen, es ist das Wünschenswerte, ein Ausdruck für Präferenzen, andere sagen es ist ein bloßer Container-Begriff und damit eine Worthülse. Oder aber es ist ein Welterklärungsmodell, nachdem philosophisch-religiöse Modelle ihre Bedeutung und Relevanz verloren haben. Wieder andere sagen, wir brauchen Werte für das Zusammenleben, obwohl es die Werte an sich gar nicht gibt. Auch finden wir eine Vielfalt an Werten vor, die teilweise im Widerspruch zueinander stehen und deren Verhältnis zueinander nicht geklärt ist. Werte übernehmen letztlich eine gewisse Funktion zur Bewältigung von Begebenheiten, wie z.B. Gemeinschaftsprozesse, Konfliktbeschwichtigung, Legitimationen, aber auch Abgrenzung.

Ursprünglich ist es ein ökonomischer und damit messbarer, quantifizierbarer Begriff, aber auch aus dem medizinischen Bereich bekannt. Philosophiegeschichtlich betrachtet ist der Werte-Begriff mit gerade einmal 200 Jahren überaus jung und beschreibt eine Art Zwischendimension zwischen dem hochabstrakten Guten und den persönlichen Tugenden. Dadurch wurde die Frage nach dem Guten geschichtlich greifbarer und darin letztlich überholt.

Was irritiert ist, dass dieser Wertebegriff überaus positiv konnotiert ist und in Diskussionen kaum mehr begründet oder erklärt werden muss, obwohl niemand so recht weiß, was er denn jetzt genau beinhaltet. Er ist fast zu einem Totschlagargument geworden, á la „hier stehe ich und kann aufgrund meines Wertes nicht anders.“

Warum sollten Tugenden einen Stellenwert in der Führungsarbeit haben?

Tugenden haben einen gewissen Anstrich einer klaren Handlungsanweisung in Richtung des Guten: „Tue x und das gute y passiert.“ In der Gebrauchsanweisung für meinen Geschirrspüler steht z.B. dass man Salz in den Behälter füllen soll, damit die Maschine möglichst lange gut funktioniert und das Geschirr blitzblank wird. Jetzt sind (professionelle) Beziehungsgefüge, mit denen wir im beruflichen Kontext zu tun haben, nicht unbedingt so leicht und easy zu handeln wie mein Geschirrspüler. Manchmal ist Salz nicht genug und ein bisschen Kalk im Getriebe. Wenn ich es aber in meiner Führungsarbeit schaffe meine eigene klare Linie zu zeichnen, so dass es klar ist, wie und wonach ich handle, was meine Eigenschaften sind, können sich die involvierten Personen gegenseitig besser einschätzen und mögliche Konsequenzen bereits im Vorfeld antizipieren. Und bei der Entwicklung dieser klaren Linien können Tugenden helfen, wenn ich sie für mich bewusst habe, wenn ich um meine Eigenschaften weiß, und weiß, woran ich mein Tun orientiere und wonach ich mich letztlich auch beurteilen lasse.

Welche Bedeutung haben Emotionen in der Führungsarbeit?

Emotionen bringen etwas in Bewegung und packen den Menschen mit all seinen Sinnen. Ich persönlich fand es für mich hilfreich zu realisieren, dass ich auf einer spirituellen Ebene die Woche nicht mit dem (möglicherweise unbeliebten) Montag beginnen lasse, sondern mit dem Sonntag: einer Feier der Muße, dem Fest von Stillstand, der Zelebration von „passt schon“. Und genau durch dieses Moment des Inne-Haltens kommt aber so einiges für die kommende, anstehende Woche erst so einiges richtig in Bewegung. Somit können Emotionen dazu beitragen, dass ich meine Wahrnehmung schärfe und achtsamer werde und gleichzeitig aber auch meine Gefühlslage einschätzen kann. Auf diese Weise kann ich die anstehende Arbeitswoche mit den gebotenen Herausforderungen gut gestalten. Dabei versuche ich, meinen KollegInnen und Mitarbeitenden gerecht zu werden und gleichzeitig aber auch auf meine Ziele hinzuarbeiten – auf die des Unternehmens gleichermaßen wie die meines Lebens.

Vielen herzlichen Dank für das interessante Gespräch, liebe Judith.

Tugend ist die moralische Stärke in Befolgung seiner Pflicht, die niemals zur Gewohnheit werden, sondern immer ganz neu und ursprünglich aus der Denkungsart hervorgehen soll.
Immanuel Kant

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Kreativität und Angstfreiheit

Bei einem unserer vergangenen Leadership Breakfast widmeten wir uns dem Thema Kreativität. Im Unterschied zu Innovation beruht Kreativität immer auf etwas Bestehendem, weiß die kreative Logik aus der Mathematik. Wir nehmen etwas her, was es schon gibt und machen etwas Neues daraus. Kreativität entsteht aus einem Feld, das wir zuerst erzeugen und in das zuvor viel an Arbeit investiert wurde, um den Boden dafür aufzubereiten. Und diese Arbeit ist vielleicht auch gar nicht bewusst investiert worden. Es geht also darum, das, was bereits da ist, mit etwas Bestehendem zu verknüpfen. Ein zitiertes Beispiel war Henry Ford, der sich in Schlachthöfen Anleihe für seine Fließbandproduktion geholt hat.

 

Angstfreiheit

Was braucht es, um Kreativität entfalten zu können? Wir waren uns einig, dass es einen entspannten Zustand braucht, einen angstfreien Raum. Kreativität hat auch viel mit Spontaneität zu tun, die plötzlich etwas zeigt, was bereits vorher mental verarbeitet wurde. Um kreativ sein zu können, muss sich der rationale Geist zurücknehmen. Das „Wollen“ behindert unsere Kreativität, denn es behindert den Flow.

Google hat lange untersucht, was ihre besten Teams ausmacht. Und in einer Studie kam das Unternehmen vor allem zum Schluss, dass es vorrangig um eine angstfreie Umgebung ging. Das Konzept der Psychologischen Sicherheit von Amy Edmondson kam dabei ins Spiel, das besagt, dass eine Umgebung, in der Vertrauen herrschen kann, die Bereitschaft fördert, sich aktiv einzubringen. Das Risiko einer Blamage wird in einem solchen Umfeld nicht wahrgenommen bzw. ist sehr klein. Angstfreiheit als einer der Schlüsselfaktoren für produktive Zusammenarbeit und kreative Problemlösungen.

Elizabeth Gilbert beschreibt Kreativität in ihrem Buch Big Magic damit, dass Inspiration, Ideen und Kreativität eine Energie ist, die zum Leben gebracht werden will. Wenn wir die Ideen nicht umsetzen, suchen sie sich einen anderen Menschen. Wir kennen das alle: wir haben eine Idee und machen nichts damit. Einige Zeit später hören oder lesen wir von jemandem, der genau unsere Idee verwirklicht hat.

 

Spontanität

Ziel des Psychodramas ist die Aktivierung und Integration von Spontanität und Kreativität. Konstruktives spontanes Handeln ist zustande gekommen, wenn der Protagonist für eine neue oder bereits bekannte Situation eine neue und angemessene Reaktion findet.

Jacob Levi Moreno, 1959, S. 34

Moreno betrachtet dabei Spontanität als die wahrscheinlich älteste, universell vorhandene, jedoch am schwächsten entwickelte Kraft eines Menschen. Oft ist sie durch Sozialisations- und Entkulturationsprozesse gehemmt und entmutigt. Ein großer Teil der menschlichen Psycho- und Soziopathologie kann nach Moreno einer ungenügenden Entwicklung respektive einer Hemmung der Spontanität zugeschrieben werden. Eng verbunden mit der Spontanität ist die Kreativität, denn „die Spontanität küsst die Kreativität wach“. Beide zusammen machen erst aktives und schöpferisches Handeln möglich.

 

Reduktion und Komplexität

Neben einer stressfreien Umgebung sind Reduktion und Komplexität weitere Faktoren, die Kreativität begünstigen und fördern. Das mag auf den ersten Blick merkwürdig klingen, aber beides unterstützt dabei, dass unser Verstand dabei keine wesentliche Rolle spielen kann. Es macht also einen Unterschied, ob man jemand sagt „male ein Bild“ oder ob man jemand sagt „hier hast du einen roten und einen grünen Stift: male damit ein Bild“.

Ähnlich verhält es sich mit Komplexität: wenn wir die Komplexität bei einem Thema erhöhen, haben wir irgendwann zu viele Infos und zu viele Faktoren, mit denen unser Verstand überfordert ist. Um in diesem Thema weiterkommen zu können braucht es dann eine andere Herangehensweise und dadurch zeigen sich kreative Ansätze oder Lösungen.

Auch im alternativen Schulwesen finden sich kreative Ansätze. In einem Beispiel einer Schule, in der Kinder mit starker Leseschwäche unterrichtet werden, hat man in Bezug auf Textverständnis mit folgendem Ansatz in Bezug auf das Textverständnis der Kinder gute Erfolge erzielt: die Aufgabe an die Kinder war: „Lese den Text und dann zeichne den Text.“ Dabei zeigt sich nach dem Lesen des Texts ein weitaus besseres Textverständnis der Kinder, als wenn sie es schriftlich zusammenfassen müssen.

 

„Was ist mein Anteil?“

Wie können wir mehr Kreativität in Unternehmen bringen? In einem Unternehmen gibt es in der Regel viele Ideen, aber nur wenige schaffen es in die Umsetzung. Das mag mehrere Gründe haben: zum einen, weil der Ideengeber nicht immer auch gleichzeitig der Umsetzer ist, zum zweiten, weil es zu wenig Unterstützer für eine Idee gibt bzw. es oft an den Menschen mangelt, die sich mit (risikohaften) Ideen exponieren wollen. Denn wenn es schief geht…was ist dann?

Um Verantwortung für den eigenen Anteil übernehmen zu können, wird in Hawaii ein Ritual namens Ho‘oponopono angewandt. Damit soll das Gleichgewicht in einer Familie oder einem Beziehungssystem wiederhergestellt werden. Dabei geht es darum, den eigenen Anteil zum Beispiel am Fehler eines anderen zu sehen: „was habe ich dazu getan, dass dieser Fehler passiert ist?“ Damit bekommt dieser Fehler einen ganz anderen Anstrich, denn das Kollektiv übernimmt gemeinsam Verantwortung für das, was passiert ist. Das wäre doch auch ein spannender Ansatz für Unternehmen und würde einen angstfreien Raum fördern, in dem Kreativität leichter umsetzbar wird. Voraussetzung dafür ist natürlich ein hoher Vertrauensgrad in der Organisation.

 

Ein herzliches Dankeschön an Breakfast-Gast Christopher Temt für seinen schriftlichen Beitrag über Jacob Levi Moreno, der in diesen Blogartikel eingeflossen ist.

Fotocredit: fotolia 107017745 © agsandrew

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