Makellos

Wenn ein Gefäß, ein Glas oder eine Schale in der westlichen Welt auf den Boden fällt oder bricht, werfen wir es entweder weg oder versuchen es so zu kleben oder zu reparieren, dass man den Schaden möglichst nicht sieht. Auch würde man seinen Gästen – wenn möglich – nur makellose Gläser oder Geschirr hinstellen, oder sich meist zumindest dafür entschuldigen, wenn etwas davon beschädigt ist. Ähnlich gehen wir manchmal mit uns und unseren Erfahrungen und Verletzungen bzw. denen anderer um.

In Japan gib es seit mehr als 400 Jahren eine Tradition (kintsugi), in der zerbrochenes Glas, Keramik oder Porzellan mit Gold repariert wird. Die Risse und Beschädigungen werden somit sichtbar und das beschädigte Gefäß dadurch wertvoller. Der Makel wird bewusst hervorgehoben. Diese Tradition hat mit dem Wabi-Sabi-Schönheitskonzept zu tun, das eng mit dem ZEN Buddhismus verbunden ist und besagt, dass die sichtbare Geschichte von Echtheit, Integrität und Authentizität zeugt.

Sichtbarkeit

Ohne Makel zu sein, also makellos, gibt es nicht. Einen Makel loswerden zu wollen, zu verstecken, zu verbergen führt meist nicht zum gewünschten Ergebnis. Jeder und jede hat im Laufe seines/ihres Lebens Erfahrungen gemacht, die mehr oder weniger sichtbare Verletzungen hinterlassen haben. Allerdings glauben viele von uns, dass diese Verletzungen, Bruchstellen und Risse uns nicht wertvoller machen, sondern uns einen Makel verleihen und damit entwerten. Im Geschäftsleben wird immer noch vielerorts möglichst Makellosigkeit erwartet. Das beginnt oft schon beim Einstellungsgespräch und dem Lesen und Bewerten von Lebensläufen. Homogen und ohne Lücken sollten sei sein.

Wir verstecken unsere Erfahrungen sehr oft, und hadern mit den Verletzungen, die wir davongetragen haben. Wir verstecken einen Großteil dessen, was uns zu dem Menschen gemacht hat, der wir sind. Mit all jenen Attributen und Stärken, die wir tagtäglich in unsere Arbeit einbringen. Das, was die Unternehmen ausmacht, sind allerdings genau wir Menschen, mit alldem, was wir an Eigenschaften und Erfahrungen mitbringen.

Vergoldet

Vor wenigen Tagen habe ich im Rahmen eines Coaching mit einer Führungskraft aus dem Finanzsektor wieder einmal gehört, wie wichtig es sei, beruflich und privat zu trennen. Aber wo genau ist diese Trennlinie? Bis zu einem gewissen Grad verstehe ich das, denn es geht nicht darum über alle privaten Details zu sprechen. Dennoch sind wir jeden Tag als ganze Menschen in den Unternehmen. Mit all unseren Interessen, Beziehungen, und Erfahrungen. Auch mit all unseren „Makeln“, Verletzungen, Erinnerungen und Vorurteilen, die wir gegenüber Dingen und anderen Menschen haben.  Das macht uns zu dem Menschen, der wir sind. Wer hat nicht schon mal die Erfahrung gemacht, dass es ganz wunderbar ist, wenn man selbst oder jemand anderer über jene Themen spricht, die einen gerade bewegen? Wenn wir uns den anderen zeigen können, wer und wie wir wirklich sind und umgekehrt? Sind es nicht genau diese Momente, die uns bereichern, wenn uns andere einen Einblick in ihr wahres Ich geben? In diesen Momenten, in denen echte Begegnung stattfindet?

Wie schauen wir also auf unsere eigenen und die Verletzungen der anderen? Können wir sie schätzen? Wären diese aus Gold und im außen sichtbar, würden wir die dahinter liegende Schönheit der Erfahrungen mit anderen Augen sehen? Und vielleicht würden wir sie dann auch freudvoller und stolzer nach außen tragen und unseren Umgang damit verändern.

Ein Danke an Michael Mark für die Inspiration zu diesem Text.

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Führen mit Durchblick

Perspektive kommt vom lateinischen Verb perspicere, das bedeutet „durchsehen“, „durchblicken“ und  sie war der Begriff, dem wir vor kurzem ein Wiener Leadership Breakfast widmeten.
Mittels dieses Durchblickens wird nicht nur sichtbar, was sich im Raum befindet, sondern auch das Dazwischen, der Raum selbst. Die Perspektive öffnet den Raum in zweierlei Hinsicht: (1) Durch das Betrachten werde ich mir bewusst, dass ich selbst einen Standpunkt einnehme. (2) Ich erkenne im Raum eine Anordnung, d.h. die Art, wie Menschen, Dinge und Standpunkte sich zueinander verhalten. Wer oder was ist größer, kleiner, nahe, fern, in der Mitte, am Rand?

Im Auge des Betrachters

Die abendländische Kunst hat in der Renaissance einen Coup gelandet, indem sie die Zentralperspektive[1] eingeführt hat. So wurde der dreidimensionale Raum auf der zweidimensionalen Fläche der Leinwand sichtbar, spürbar. Die bildliche Darstellung erlangte eine bis dahin ungekannte Tiefe. Damit gelang es, den Anspruch einer objektiven Ordnung mit der Tatsache in Einklang zu bringen, dass diese objektive Ordnung immer vom Auge der Person abhängt, die den Raum betrachtet.[2]

Vogel- und Froschperspektive

Geht es nicht im Alltag der Organisation genau darum? Hinter all den verschiedenen Blickwinkeln, Betrachtungsweisen und Standpunkten das Verbindende zu entdecken? Einen Ausgleich zu schaffen zwischen der Vogelperspektive der strategischen Entscheidungen der Führungsebene und der Froschperspektive der konkreten Umsetzung in den Abteilungen, den Teams, in der Arbeit der einzelnen MitarbeiterInnen? Wer würde theoretisch nicht zustimmen, wenn gesagt wird, dass alle Perspektiven wichtig sind? Aber wie sieht es in der Praxis aus?

Die Perspektive der anderen einzunehmen ist eine Kompetenz, die man sich aneignen muss. Und die man immer wieder üben muss. Die Geschichte des Films hat uns gezeigt, wie vielschichtig man das Thema Perspektive angehen kann und dass Perspektive nicht nur eine Frage des Raumes ist, sondern auch der Zeit. Der Schnitt entscheidet über den Wechsel und die Aufeinanderfolge der Perspektive, er gibt den Perspektiven einen Rhythmus. Und damit wird immer etwas zum Ausdruck gebracht: eine eher objektive oder eher subjektive Sicht der Dinge zum Beispiel.

Existenzgrund und Fluchtpunkt

Die Perspektive als Möglichkeit der Anordnung in Raum und Zeit ist auch für Organisationen höchst bedeutsam: Welche Ziele sind zentral, wie sind die einzelnen Ziele aufeinander bezogen, hinsichtlich Priorität, aber auch inhaltlich? Wie können diese Ziele erreicht werden? Und wie hängen sie zusammen, in welcher Beziehung stehen sie zum Existenzgrund, zum Unternehmenszweck? Dieser liegt immer außerhalb des konkreten Bildes, das eine Organisation abgibt, es ist der imaginäre Fluchtpunkt, in dem alle Anstrengungen zusammenlaufen.

Leider kommt es immer öfter vor, dass in Chefetagen von großen Unternehmen keine langfristigen Perspektiven entwickelt werden – und zwar nicht nur hinsichtlich der geschäftlichen Belange, sondern vor allem für die MitarbeiterInnen. Frustriert verlassen einst motivierte, leistungsbereite Kräfte diese Organisationen, weil sie keinen Sinn in ihrer Tätigkeit finden können, weil sie in ihrer Perspektive nicht wahrgenommen werden, diese nicht wirksam einbringen können.

Standpunkt und Haltung

Führen wird in dieser Hinsicht zu einer äußerst schwierigen Aufgabe, denn oft muss man strategische Ziele vermitteln, die in Widerspruch zu den Erfahrungen und Standpunkten vieler MitarbeiterInnen stehen. Dennoch sollte eine Führungskraft sich immer überlegen, wie sie Perspektiven geben kann, die nicht zwangsläufig durch ihre Sichtweise und die eigenen Erfahrungen gefiltert sind. Sie sollte ihren Standpunkt klar zum Ausdruck bringen und dennoch nicht so handeln, als ob es der einzig mögliche, der einzig denkbare ist. Das ist eine Frage der Haltung: Wie geht man mit den MitarbeiterInnen um, wie schaut man auf sie?

Autor: Dr. Klaus Neundlinger

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Perspektive

[2] Erwin Panofsky: Die Perspektive als „symbolische Form“. http://www2.uni-jena.de/philosophie/medien/guenzel/pdf/Panofsky_Perspektive%20%281927%29.pdf

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Die Zukunft der Arbeit und wie wir sie gestalten können.

Schon die bekannte Biochemikerin Renée Schroeder hatte bei unserem Wiener Leadership Kongress im Jahr 2016 darüber gesprochen, dass wir Menschen frei entscheiden können, ob wir Schafe sein oder Eigenverantwortung übernehmen wollten: es läge also vollkommen bei uns, wie wir unsere Genetik weiterschreiben und entwickeln und wie wir die Zukunft gestalten. Auch die moderne Hirnforschung kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Zukunft der Arbeit wäre demnach also offen, denn der Mensch kann frei entscheiden, wie er sie gestalten will. Und es gibt äußere Faktoren, die der Entwicklung eine Richtung weisen.

Entwicklung folgt Engpass

Entwicklung und Wachstum finden vor allem dann statt, wenn es eine Krise, einen Engpass gibt. Offenbar brauchen wir Menschen sich zuspitzende Zustände, um uns aus unserer Komfortzone zu bewegen, um Neues zu entwickeln und auch persönlich zu reifen. Das gilt für die heutige Welt und war offenbar schon immer so. In den letzten 150 Jahren sehen wir dazu einige Beispiele: als Transportmöglichkeiten der Engpass waren, wurde die Eisenbahn gebaut. Und als die Wissensflut immer größer wurde, dass man sie mit manuellen und herkömmlichen Methoden nicht mehr strukturieren und vernetzen konnte, kamen die ersten Computer auf den Markt.

Wenn wir also einen Blick in die Zukunft werfen wollen, dann gab es hinter jeder Entwicklung in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Was könnte also der Engpass sein, der in Zukunft unsere Entwicklung als Wirtschaft und Gesellschaft beeinflussen könnte?

Gesundheit und vernetztes Wissen

Das, was in der Wirtschaft seit gut 20 Jahren beobachtbar ist, ist eine stärkere Entwicklung Richtung Dienstleistung.  Es werden weiterhin Güter produziert, aber viele dieser Güter werden komplexer und bedürfen Erklärungen und Informationen – und das betrifft die meisten Bereiche des menschlichen Lebens, egal, ob technologisch, in der Ernährung, im Sport…

Wir leisten also immer mehr gedankliche Arbeit und das ist in meinen Augen auch der Weg der Entwicklung: wir werden nicht mehr nur reines Wissen verkaufen (denn das ist ja mittlerweile durch das Internet kostenlos zugänglich), es wird vielmehr um die Kombination aus Wissen und Erfahrung gehen, also um das Vernetzen von Wissen und Erfahrung, das Beraten, das Probleme lösen, kurz: gedankliche Arbeit.

Auch Erik Händeler, ein bekannter deutscher Wirtschaftsjournalist und Zukunftsforscher, sieht auch eine Entwicklung in diese Richtung. Und für ihn kommt noch eine weiterer Engpass dazu, das Thema (seelische) Gesundheit. So meint Händeler:

„Gesundheit war immer wichtig, aber es war nie der Flaschenhals. Früher waren Menschen, die hart körperlich arbeiten mussten, mit 35 erschöpft, aber man konnte sie austauschen, es liefen genügend herum. Wenn man früher mehr Wohlstand hatte, hat man denen dann einen Bohrhammer gegeben und war durch die Technik produktiver. Aber jetzt nach 200 Jahren Industriegeschichte, in denen wir energetische und materielle Prozesse effizient gemacht haben, jetzt wird der größte Teil der Arbeit Gedankenarbeit sein.“

Sozialkompetenz als Schlüssel

Wenn es also künftig immer stärker um gedankliche Arbeit gehen wird, dann wird hier auch Sozialkompetenz eine signifkantere Rolle spielen: wie wir miteinander umgehen und wie wir zusammenarbeiten, wie wir Wissen und Erfahrung teilen. Denn je komplexer die Welt und die Produkte werden, desto mehr sind wir auf das Wissen und die Erfahrung anderer angewiesen. Wir älteren neigen vielleicht manchmal dazu, jungen Menschen ihre Kompetenzen abzusprechen, weil sie vielleicht nicht unsere jahrelange Erfahrung mitbringen. Dafür bringen junge Menschen einen anderen Zugang zu neuem Wissen, neuen Technologien mit und Erfahrungen, die wir älteren nie gemacht haben, weil wir in einer anderen Zeit aufgewachsen sind. Diese verschiedenen Kompetenzen miteinander zu vernetzen wird künftig über die Produktivität und den Erfolg eines Unternehmens wesentlich mitentscheiden.

Produktivitätsfaktor Zusammenarbeit

Produktivität wird demnach stark von der Art wie wir unsere Zusammenarbeit gestalten, abhängen. Und sie wird nicht mehr nach althergebrachten Parametern messbar sein, wie z.B. der Zeitaufwand, nach dem jemand auf ein Produkt verwendet hat.

Erik Händeler dazu:

„Wir waren historisch gesehen noch nie so auf andere angewiesen wie jetzt. Deswegen wird das Sozialverhalten zum wichtigsten ökonomischen Kriterium. Und wir werden beim Thema (seelische) Gesundheit landen. Früher am Fließband war es völlig egal, ob die Leute miteinander zurechtgekommen sind für die Produktivität. Aber jetzt in der Wissensgesellschaft ist jeder der König/ die Königin ihres Wissensbereiches. Und wenn sie dann im Team jemand haben, der merkwürdig reagiert, der sich ein bisschen neurotisch verhält ist die Produktivität des ganzen Teams lahmgelegt.“

Die Arbeit am und mit Menschen und die Arbeit mit unseren gedanklichen Kompetenzen wird also die Zukunft der Wertschöpfung prägen. Was wir als Gesellschaft daraus machen und wie wir miteinander umgehen werden bleibt zu beobachten. Und jeder und jede Einzelne von uns kann die Entwicklung in eine positive Richtung beeinflussen, indem wir als erstes bei uns selbst ansetzen.

Zitate aus:
Erik Händeler, „Wie uns trotz Digitalisierung niemals die Arbeit ausgeht“: https://www.youtube.com/watch?v=6nGnzoXOTBM

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Sind Traditionen Innovationskiller?

Nachlese zur Wiener Leadership Night am 21. Februar 2018

Wir Menschen sind Gewohnheitstiere und orientieren uns gerne an Bewährtem. Daran ist grundsätzlich auch nichts falsch, denn Bewährtes gibt uns Sicherheit.

Immer wieder sind wir in den Projekten bei unseren Kunden mit dem Ausspruch „das haben wir immer schon gemacht, das passt anders für uns nicht“ konfrontiert. Und das hat uns die Frage stellen lassen, ob Traditionen denn Innovationskiller in Unternehmen sind. Ob sie Neuerungen behindern oder in welcher Hinsicht sie auch Veränderung und Innovation fördern können. Und was zu beachten ist, damit Traditionen den Fortschritt fördern statt zu behindern.

Der Frage nachgehend „Sind Traditionen Innovationskiller?“ hatten wir zu unserer ersten Wiener Leadership Night in diesem Jahr 4 VertreterInnen österreichischer Traditionsunternehmen eingeladen.

Unsere Gäste.

Unsere Gäste an diesem Abend waren Georg Gaugusch, Chemiker, Historiker und Geschäftsführer des traditionsreichen Tuchwarenhändlers Wilhelm Jungmann und Neffe, der das Unternehmen 2005 von seiner Mutter übernommen hatte, Doris Wallner-Bösmüller, Geschäftsführerin von Bösmüller Printmanagement, die 2009 die Firmennachfolge ihrer Eltern antrat und Johannes Hornig, der mittlerweile in 5. Generation seit 7 Jahren das Familienunternehmen J. Hornig Kaffee weiterführt. Die vierte im Bunde war Dr. Ingrid Thür, Leiterin Controlling und Procurement bei der Austro Control, die den Faktor „traditionsreiches Großunternehmen“ vertrat und aus den Veränderungen in Mindset und Arbeitsweise der Austro Control berichtete, die erst 1994 aus der ehemaligen Bundesluftfahrtbehörde hervorging.

Tradition – aus dem Lateinischen kommend – bedeutet Übergabe, Weitergabe von Überzeugungen und Handlungsmustern. Gemeinsame Überzeugungen und Handlungsmuster sind auch ein Aspekt, der uns Menschen in unseren Fähigkeiten von Tieren unterscheidet, wenn es um Interaktion und in weiterer Folge auch um Beziehungen und Zusammenarbeit geht (siehe auch Yuval Noah Hararis Buch Homo Deus )

Umgang mit Tradition.

Traditionen – und vor allem die Verhaftung in Traditionen – bestimmt auch die Kultur in Unternehmen. So berichtete Ingrid Thür zum Beispiel, wie wichtig Traditionen und bewährte Handlungsmuster für eine Organisation wie der Austro Control seien: „gerade, wenn es um Flugsicherheit geht, erwarten wir uns als Konsumenten, dass bewährte Handlungsmuster seitens der Flugsicherung oder der Piloten zum Tragen kommen.“ Das sei auch ein wesentlicher Teil der Ausbildung. Auf der anderen Seite dann wieder die Gratwanderung, wenn es um Innovation im Unternehmen ginge und Arbeitsschritte dann plötzlich von manuellen zu automatisierten und computerunterstützen Abläufen würden. Es sei also wichtig, sorgsam mit Veränderung umzugehen und Bewährtes und Neues miteinander zu verbinden.

Traditionen müssen nicht unbedingt Innovationskiller sein: man muss aber sorgsam schauen, dass sie Innovation nicht verhindern: „so haben wir es immer schon gemacht“ bedeutet den Blickwinkel zu verlieren für das, was verändert werden muss. In der Austro Control war es beispielsweise für manche schwer verkraftbar, als 1994 der Adler als Firmenzeichen abmontiert wurde und es gab einen Mitarbeiter, der bis 2000 den Adler stempelte, obwohl es schon lange nicht mehr zur Vorgehensweise gehörte.

Umgang mit Trends.

Auf die Frage, ob man Trends folgen müsse, meinte Georg Gaugusch, dass man selbst die Trends setzen müsse, wenn man ihnen „nur folge, wäre man bald tot.“ Auch ginge es um Entscheidungen, wie z.B. ob man sich dem Preisdruck oder Sortimentsdruck hingeben wolle – eben dem was die meisten machen in einer Branche. Als Beispiel brachte er die Entscheidung im sehr hochpreisigen Segment zu bleiben – wie auch schon früher – weil ja auch die Ware exzellente Qualität habe, die man nur in vereinzelten Geschäften bekommen könne. Es gehe also auch darum, eine klare Linie zu haben und bei dieser zu bleiben und keine Kompromisse zu machen, nur weil es vielleicht gerade alle anders machen. Das habe sich bei Wilhelm Jungmann und Neffe seit vielen Generationen bewährt.

Fingerspitzengefühl.

Doris Wallner-Bösmüller unterstrich die Herausforderung, Handlungsmuster und Traditionen, die beispielsweise die Eltern gelebt hatten und für sie in dieser Form nicht mehr gepasst haben, zu verändern: „Da braucht es Fingerspitzengefühl und man muss auch schauen, wie man dennoch mit manchen Traditionen leben kann, denn abseits der Firma bleibt man schließlich Familie. Manchmal ist es auch Zeit, zu entrümpeln. Man kann nie alles auf einmal ausreißen. Wie ein Rückschnitt in einem Garten: man muss schauen, in welchen Trieben noch Kraft ist. Also auch zu differenzieren, was bringt uns noch was und was bringt uns nichts, seien das Geschäftszweige, Abläufe und manchmal leider auch MitarbeiterInnen.“ So habe sie zum Beispiel das Fehlerbewusstsein im Unternehmen verändert: „Es gibt Hintergründe warum etwas passiert – es gibt keinen Schuldigen, sondern es geht um Lösungen und dem Lernen aus den Fehlern.“

Regulative.

Gleichzeitig mit Johannes Hornigs Firmenübernahme kam 2011 auch ein neuer deutscher Mehrheitsgesellschafter mit an Bord. Eine komplett neue Situation für das Unternehmen und seine Mitarbeiter, nachdem Hornig Kaffee bis dahin rein in Familienbesitz war. Es gab einige Mitarbeiter, die diese Veränderung nicht mittragen konnten, sagte Johannes Hornig. Für ihn brachte der neue Miteigentümer aber durchaus auch viele Möglichkeiten, Innovation ins Unternehmen zu bringen, das Unternehmen neu zu positionieren, aber auf der traditionsreichen Marke aufzubauen und sie zu „verjüngen“. Auch bei Hornig gäbe es aus der Tradition heraus lange Firmenzugehörigkeiten und manchmal wünsche er sich mehr Input seitens seiner MitarbeiterInnen, meinte er. Die Hierarchie im Unternehmen sei recht flach geworden, um genau das Einbringen der Menschen zu fördern. Manchmal wäre es aber auch gar nicht so den Internas in einem Unternehmen zu schulden, dass Innovation schwergemacht würde, meinte Hornig. Österreichs Regulative würden Innovation auch nicht gerade fördern – im Vergleich zu vielen anderen Ländern, wo Unternehmern Veränderungen oder Neuerungen leichter gemacht würden.

Die Aufgabe der Führung im Umgang mit Traditionen.

Das Alte und Bestehende im Unternehmen wertzuschätzen und darauf aufzubauen, ist die Aufgabe der Führung. Eine Unternehmenskultur, die stark von einer lang etablierten Tradition geprägt ist, lässt Junge und Ältere an Fronten geraten. Es braucht dazu auch die Bereitschaft der erfahrenen Generation, sich zu öffnen und Arbeit und Tun auch aus anderen Blickwinkeln zu betrachten sowie den neuen Sichtweisen der jungen MitarbeiterInnen Raum zu geben, Alt und Jung voneinander lernen zu lassen.

Traditionen sind wichtig, vor allem, wenn es um eine stabile Zukunft geht. Und dann stellt sich vor allem auch die grundsätzliche Frage: wo wollen wir als Unternehmen hin und aus welchem Geist heraus soll das passieren? Ein klare Kommunikation über die Sinnhaftigkeit mancher Veränderungen wäre ein essenzieller Bestandteil im Umgang mit dem Brechen von Traditionen. Die Unternehmen, die eine ausgewogene Balance zwischen beiden schaffen sind wahrscheinlich die erfolgreichsten. Dieser Ansicht waren sich alle unsere Podiumsgäste einig.

Karin Weigl

Fotocredit: Eigenproduktion, Simone Rack, 4dimensions GmbH

Das Frühwarnsystem im Unternehmen

Ein Gastbeitrag von Dr. Birgit Feldhusen.

In unseren Leadership Breakfasts diskutieren wir zentrale Begriffe aus unserer Arbeitswelt. Warum war die ‚Sensibilität‘ Thema bei einem Frühstück? Warum ist sie auf der Liste der Begriffe gelandet, die für eine neue Führungswelt angereichert oder umgedeutet werden müssen? Ist Sensibilität nicht das, was uns verletzbar macht und demzufolge das Gegenteil dessen, was als Kompetenz der Zukunft hoch gehandelt wird? Resilienz?

Wie im Aquarium, so im Unternehmen.

In einer der ersten Statements unserer Frühstücksrunde erfuhren wir sofort, dass im ökologischen System eines Aquariums die Sensiblen zuerst sterben, wenn das System aus der Balance gerät. Das regte an, den Begriff näher zu definieren. Sensitivität = Sensibilität = Vulnerabilität?

Keineswegs! Sensibilität bezieht sich zunächst einmal auf die reine Wahrnehmung, auf die Feinheit der Einstellung unseres Wahrnehmungsapparates. Wie wir dann mit den Inhalten der Wahrnehmung umgehen, ist eine zweite Sache. Damit unser Gehirn möglichst viel Energie spart, neigen wir Menschen dazu, die Inhalte unserer Wahrnehmung in bereits bestehenden Kategorien zu verarbeiten. So reagieren wir in bestimmten Situationen nach bestehenden Mustern, und in einigen eben sehr emotional. Eine sensible, also fein eingestellte Wahrnehmung nimmt schlicht und einfach mehr wahr, es muss mehr verarbeitet werden. So treten auch Verarbeitungsresultate wie emotionale Reaktionen häufiger auf und sensible Menschen werden von außen irrtümlicherweise als grundsätzlich verletzlich(er) – als ‚Mimosen‘ – eingestuft. Die Art der Reaktion auf bestimmte Wahrnehmungen – emotional verletzt oder resilient – hängt aber nicht von dem Maß der Sensibilität ab, sondern von den gemachten Vorerfahrungen und bestehenden Verarbeitungsmustern. Hochsensible können unsensibel reagieren und vice versa.

Kann/ soll man sich abhärten?

Dies warf die Frage auf, ob es möglich sei, die eigene Toleranzschwelle zu erhöhen, sprich die geistigen und seelischen Reaktionen ‚abzuhärten‘, wie man es auch mit körperlichen Reaktionen tun kann. Hier wurden Beispiele genannt wie das Kältempfinden oder die Toleranz Giften gegenüber.

Zum einen wurde diskutiert, dass im Grunde jede Erfahrung, auch jedes Trauma, eine Form der ‚Abhärtung‘ ist, wenn sie gut verarbeitet wird. Seine eigenen Verarbeitungskategorien (kognitive Muster, Werte, Einstellungen) zu erforschen und eventuell anzupassen ist also eine äußerst nützliche Übung im Hinblick auf Resilienz. Das gilt für alle Menschen, aber in besonderem Maße für sensible Menschen. Es sorgt dafür, dass wir selbst besser über unsere Reaktionen entscheiden können.

Differenzierung ist wichtig.

Zum anderen gilt es im Auge zu behalten, dass die Gesamtbelastung gewisse Grenzen nicht überschreitet. Sonst kann es zu verschiedenen Stadien der Überreizung bis zu einem völligen ‚Shut Down‘ des Wahrnehmungssystems kommen. Hier hilft ein augeprägtes Differenzierungsvermögen: was ist wichtig? Was nicht? Auch hier sind die Bandbreiten für sensible Menschen schneller erreicht.

Großes Potenzial für Unternehmen.

In einer hochdynamischen Welt, die von Unternehmen ein ständiges Beobachten des Umfeldes und eine entsprechende Anpassung verlangt, können die Sensiblen das Frühwarnsystem eines Unternehmens im Hinblick auf Entwicklungen, Chancen, Risiken, Kundensituationen und interne Stimmmungslagen sein. Wie im Aquarium reagieren sie zuerst auf Dysbalance oder können feinste Wahrnehmungssplitter zu einer wichtigen Essenz und Erkenntnis zusammenfügen, die in keiner Markanalyse steht.

Zukunftskompetenz.

Nur muss es Mechanismen geben, die dafür sorgen, dass diese Sensoren nicht ‚als erstes sterben‘, d.h. das Unternehmen verlassen oder in einer Überbelastung resignieren.  Es geht wieder einmal um das Thema Diversity und ihren Nutzen im Hinblick auf die Bewältigung von Herausforderungen. Es geht um die Akzeptanz und Wertschätzung der Unterschiedlichkeit von Menschen, diesmal in der Ausprägung unterschiedlicher Wahrnehmungsfähigkeiten.

Sensibilität bzw. eine gesteigerte Wahrnehmungsfähigkeit, wird in Zukunft sinnvollerweise nicht als ‚störendes Merkmal von Mimosen‘ verurteilt, sondern gezielt, als wichtige Kompetenz zur Zukunftsgestaltung  gesucht, eingesetzt und im Hinblick auf emotionale Reagibilität bzw. Resilienz geschult und unterstützt werden. Sensibilität ist eine wichtige Zukunftskompetenz.

Dr. Birgit Feldhusen

Fotocredit: Fotolia.com #94421141 microstock77

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