Hierarchiearme oder gar hierarchiefreie Organisationen scheinen in den letzten Jahren der „neue Schrei“ geworden zu sein. Wer etwas auf sich und sein Unternehmen hält, folgt diesem Trend – oder auch nicht. Unter dem Schlagwort „Selbstorganisation“ hört und liest man immer häufiger von Organisationen, die neue Wege hinsichtlich der inneren Struktur gehen, die sich in Kreisen oder Netzen aufstellen und MitarbeiterInnen weitaus stärker mitbestimmen lassen als in der Vergangenheit.
Auch im Rahmen unserer Wiener Leadership-Veranstaltungen widmen wir uns immer wieder diesem Thema, so zum Beispiel bei unserer Wiener Leadership Night am 31. Mai 2017 im Looshaus in Wien 1.
Dazu hatten wir jemand eingeladen, der dem „Mythos Selbstorganisation“ im Rahmen seiner Masterarbeit auf den Grund geht: Christian Hauser, ehemaliger Personalchef verschiedener namhafter IT-Player in Österreich stellt neue Organisationsformen auf den Prüfstand. Er hat die Leadership Night inhaltlich gestaltet.
Wir haben ihn im Vorfeld dazu befragt:
Herr Hauser, Sie waren bis vor kurzem in verschiedenen leitenden HR-Rollen tätig, zuletzt als Personalchef von Samsung Österreich, und haben sich nun eine Auszeit genommen, um eine Masterarbeit zu schreiben. Was hat Sie inhaltlich zu dieser Master-Arbeit bewogen?
CH: Die Fragen, was Unternehmen erfolgreich macht und welchen Sinn sie verfolgen. Das hat mich schon immer brennend interessiert. Ich habe hauptsächlich IT Unternehmen, globale und regionale Player, westlicher und östlicher Prägung und ihre Organisationsmechanismen intensiv kennengelernt. Danach fragte ich mich: „war das alles oder gibt’s noch mehr?“ So kam ich auf „neue Organisationsformen“, die einen gemeinsamen Nenner haben: sie agieren hierarchiefrei oder stark hierarchiereduziert.
Wie einfach ist es, in Österreich Unternehmen zu finden, die neue Organisationsformen umsetzen bzw. umsetzen wollen?
CH: Ja es gibt sie tatsächlich, die Unternehmen mit neuen Organisationsformen. Manche hängen es an die große Glocke, die „Hidden Champions“ muss man suchen. Wichtig ist, sich von Begriffen wie New Work, Holakratie oder Agilität, etc. nicht blenden zu lassen, sondern genauer hinzuschauen und nachzubohren, was denn „das Neue“ konkret ist und wie es tatsächlich funktioniert. In die Transformationsreisen und in die „Experimentierlabors“ Einblick nehmen zu dürfen, war extrem spannend in meinen qualitativen ExpertenInneninterviews im Rahmen meiner Masterarbeit.
Was waren für Sie zwei unerwartete Antworten und Erkenntnisse bei Ihrer Befragung der Unternehmen?
CH: Erstens: neue Organisationsformen haben nicht weniger Führung bzw. Führende, sondern sogar mehr. Jammern wird schwierig wenn man selbst im Driver-Seat sitzt und partizipativ Entscheidungen trifft.
Zweitens: Hierarchiefreiheit benötigt ein größeres Ausmaß von Entscheidungsstrukturen und Transparenz für alle. Das muss eine Organisation mal erbringen. GründerInnen und GeschäftsführerInnen genauso wie Mitarbeitende. Nachhaltige Selbstorganisation ist kein Honiglecken, sag ich nur.
Wenn Organisationsformen sich verändern und Hierarchien aufgeweicht oder gar abgeschafft werden, werden sich auch die Arbeit und die Aufgaben der Personalabteilungen in den Unternehmen verändern. Welche Rolle wird in Ihren Augen HR in Zukunft haben?
CH: Erstens werden ohne hierarchischen Schutzmantel („HR als Business Partner“) die Karten neu gemischt werden und der Druck gegenüber HR, Erfolgsnachweise zum Unternehmenserfolg zu bringen, wird noch massiver steigen.
Und zweitens wird auch HR experimentieren müssen und dürfen: neue HR-Methoden sind zwingend nötig. Neue Organisationsformen brauchen neue Lösungen, die derzeitigen Lehrbücher sollten wir am Besten gleich „kübeln“.
Wir danken sehr herzlich für das Gespräch.
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Das Spektrum an Organisationsformen und die damit verbundenen Wahlmöglichkeiten werden breiter und größer, da bin ich bei Ihnen, „one size fits all“ ist vorbei.
Börsenotierte Unternehmen mit ihrer Shareholderstruktur und global zu skalierende Produkte werden weiterhin eine klassische Top-Down Organisationsstruktur benötigen um ihren Geschäftszweck erfolgreich zu erfüllen.
Die Mitarbeiter in diesen nicht-hierarchischen Organisationen treten ohne Murren wieder von ihrer Führungsposition zurück, sind nicht gierig und daher einverstanden, dass es einen Einheitslohn gibt plus Extrageld bei Familie usw. (hier nicht erwähnt, aber von der Idee her notwendig), bauen keine eigenen Netzwerke oder Seilschaften in der Organisation auf, sind nur kooperative und darüber hinaus eindeutig altruistisch motiviert.
Nicht, dass es solche Organisationen in der Zukunft nicht geben wird, im Gegenteil, ich bin auch der Überzeugung, dass solche kooperativen (demokratischen) Organisationen vermehrt, auch aufgrund der Digitalisierung, geben wird, geben muss. Ich wehre mich aber dagegen, dass es die einzige Organisationform sein wird. Es wird daneben auch hierarchische Organisationen geben, die neben dem Altruismus auch dem Egoismus Raum geben, wo ich Karriere machen und mir Vermögen schaffe kann, und die trotzdem erfolgreich sein werden.